Mittwoch, 4. April 2012

VITA Hildegard von Bingen

“Alle Schönheit des Himmels“
(Zitat aus der Hildegardbiographie von Charlotte Kerner)

Die „vrouwe“  Hildegard lebte und wirkte in einer uns sehr fremden und fernen Welt, dem Hochmittelalter, dessen Weltbild und Bilderwelten sie prägten. Zwischen einem dünnen Faktenwissen und gläubiger bis abergläubischer Verherrlichung, zwischen einer aus ihrer Zeit überlieferten Lebensbeschreibung, die mehr Heiligenlegende als historische Chronik ist, und ihren Werken und Briefen laufen die Fäden zusammen, aus denen ihr Lebensbild gewebt werden muss.
Hildegard, diese Frau aus dem 12. Jahrhundert, war Äbtissin und Heilkundige, Komponistin und Dichterin, Visionärin und Heilige. Sie wirkte als Prophetin ihrer Zeit,“ Prophetissa teutonica“ und „Sybille vom Rhein“ wurde sie genannt. Doch sie wusste, „… dass ich nur ein Mensch bin“.

1098 wird Hildegard, wahrscheinlich im Sommer, als das zehnte und jüngste Kind der Edelfreien Hildebert und Mechthild von Bermersheim in Bermersheim auf der Höhe bei Alzey geboren. Hildegard wurde, weil sie das zehnte Kind war, schon gleich nach der Geburt für ein Leben im Kloster bestimmt. (Das“ Zehnte“ für den Herrn). 
Taufkirche in Bermersheim
V i e l e Kinder  wie sie, die kränklich und schwächlich waren, wurden für ein Leben im Kloster bestimmt, weil man sie dort sicherer und behüteter wähnte. Aus demselben Grund wurden  Kinder auch gleich getauft. 

Für Hildegard  war die Wahl ihrer Eltern die Richtige, aber später verurteilte sie  diese Praxis der unfreiwilligen Berufung  scharf und sagte dazu:  (Zitat Hildegard) „Ein Beruf ohne Berufung lässt die Nonnen wie knurrige Hunde werden, welche zu lange an der Kette gelegen haben“. Im vierten Laterankonzil von 1215 wurde dieses Verbot auch offiziell verfügt. Es sei ein Unrecht, dass auch Gott nicht gefalle und somit keine Früchte trage.

1112 zieht Hildegard am 1. November mit der Magistra Jutta von Sponheim und einer Verwandten  von Jutta, die auch Jutta hieß, in die Frauenklause des gerade im Wiederaufbau befindlichen ehemaligen Klosters auf dem Disibodenberg,  welches nun  von Benediktinern wieder besiedelt wurde.
                                                                     
                                                                   

Jutta hatte bald einen so guten und heiligen Namen, dass viele rheinische, adlige Familien ihre Töchter hier erziehen lassen wollten. 
Schon nach sechs Jahren wuchs die Klause zu einem Kloster heran. 
Sicherlich hat  Hildegard vom Aufbau der dortigen Gottesstadt und dem Wissen um deren  Funktionen profitiert, als sie später ihr eigenes Kloster gebaut hat. Sie erlebt hier 1130 die erste Altarweihe und 1143 die Vollendung der Gottesstadt. 
Jutta von Sponheim lehrt Hildegard Lesen und Schreiben in lateinischer Sprache, sowie die Texte der Stundengebete und Psalmen und unterwies sie in den Benediktsregeln. Diese Regeln leiteten nicht nur das klösterliche Leben in Europa. 
Kaiser, Könige, Fürsten und Herzöge lasen sie, sie gehörte zum Bildungsgut adliger Kinder und ist nach der Bibel eines der wichtigsten Dokumente der Christenheit. 
Sie sagt über sich selbst: „ Ich bin ja ein Mensch, der durch keinerlei Schulwissen über äußere Dinge unterwiesen wurde, aber in meinem Innern bin ich gelehrt“.  
Sie erlangte Wissen und Erkenntnisse durch göttliche Inspiration in Ihren Visionen.


1115 legt Hildegard die Gelübde als Benediktinerin ab. Ihren Schleier erhält sie aber nicht vom  zuständigen Mainzer Bischof Adalbert. Dieser hatte  sich gegen Kaiser Heinrich V. erhoben  und saß  auf der Burg Trifels in Kerkerhaft. Sie erhielt ihn vom Bischof von Bamberg, Otto dem Heiligen.
 
1136  wird Hildegard nach Juttas Heimgang (+22. Dezember 1136) zu deren Nachfolgerin als Magistra gewählt. Das Urteil der beiden Mönche in ihrer Vita über die prägenden Jahre von der jungen Nonne zur Äbtissin ist kurz und knapp: „Die Jungfrau Christi machte große Fortschritte und stieg von Tugend zu Tugend  ….


1141 wird Hildegard von Gott durch eine Vision erleuchtet und berufen mit dem Auftrag zu künden und zu schreiben, was sie sieht und hört. 
 „Und es geschah in meinem dreiundvierzigsten Lebensjahr: Voller Furcht….. blickte ich gebannt auf ein himmlisches Gesicht. Da sah ich plötzlich einen überhellen Glanz, aus dem mir eine Stimme vom Himmel zurief: „ Du hinfälliger Mensch, du Asche…sage und schreibe nieder was du siehst und hörst. Doch weil du furchtsam bist zum Reden…und zu  ungelehrt  zum Schreiben, rede und schreibe daher nicht nach Menschenart….sondern so wie du es in himmlischen Wirklichkeiten und in den Wundertaten Gottes siehst und hörst….Schreibe es nicht nach eigenem Gutdünken oder dem eines anderen Menschen, sondern wie es dem Willen dessen entspricht der alles weiß“. Sie hatte ihre Visionen, die sie „Visio“ nennt, schon als Kind.  „ In meinem dritten Lebensjahr sah ich ein so großes Licht, dass meine Seele erbebte, doch wegen meiner Kindheit konnte ich mich nicht darüber äußern“…. „Die Kraft des wundersamen Gesichtes erfuhr ich…seit meiner Kindheit, das heißt vom fünften Lebensjahr an“.  Jutta war vertraut mit diesen seit der Kindheit andauernden Schauungen.
„Aus Furcht vor den Menschen wagte ich niemandem zu sagen, was ich schaute. Doch die Edelfrau, der ich zur Erziehung übergeben worden war, bemerkte es und teilte es einem ihr bekannten Mönch mit“. Dieser Mönch Volmar  vom Disibodenberg blieb Hildegards Lehrer, Vertrauter und Helfer bis zu seinem Tod 1173. 

1141 – 1151 schreibt Hildegard  „Scivias –Wisse die Wege“. In den  Zweifeln, die sie während ihrer Arbeit immer wieder befielen, wandte sie sich ratsuchend an den Abt Bernhard von Clairvaux, der anfänglich mit Zurückhaltung reagierte. Schließlich aber setzte er sich auf der Synode zu Trier 1147 /48 in Anwesenheit von Papst Eugen  III.  so für  Hildegards Visionsschriften ein, dass dieser, nach Überprüfung der Texte, sie in eigener Person den versammelten Kardinälen vorlas. Er bestätigte die „Seherin“ die spätere  „Prophetissa Teutonica“ 

In dieser Zeit arbeitet sie auch an zahlreichen Liedkompositionen und  dem Mysterienspiel „Ordo Virtutum“.                                                                           Dieses  Singspiel wurde anlässlich der Weihe der Kirche auf dem Rupertsberg uraufgeführt.


Das Rupertsberger Kloster





1150 verlässt Hildegard mit 20 Nonnen den Disibodenberg und bezieht das Kloster Rupertsberg  bei Bingen.                                                                               
Die anfänglich harten Lebensbedingungen  führten im Konvent zu Konflikten bis hin zu Austritten einiger Nonnen aus dem Konvent.                                       
Am 1. Mai 1151 wurde die neue Kirche geweiht. Am 22. Mai 1158 erhielt sie eine bischöfliche Besitz- und Verfassungsurkunde, die das Verhältnis zum Mutterkloster klärte.        
                                                                                                                
1151 bis 1158 schreibt Hildegard am „ Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum “, dem Buch über die Feinheiten der verschiedenen Naturen der Geschöpfe in Bezug auf die Heilungskraft für den Menschen.
1154 bis 1170 entsteht die älteste heute erhaltene Handschrift mit Werken Hildegards:  


Der Zwiefaltene Briefkodex.
1158 – 1163 schreibt  Hildegard den  „Liber  Vitae Meritorum!“,  das Buch der Lebensverdienste, der Mensch in der Verantwortung.

Dann folgen
4 Predigtreisen:
1158-1161 Mainz – Bamberg
1160  Trier –Lothringen
1161  Auf dem Rhein bis  Werden, Köln
1170  schwäbische Klöster, Kloster Zwiefalten                               

1163  kommt das Kloster Rupertsberg auf Grund einer persönlichen Audienz Hildegards bei Friedrich Barbarossa unter den kaiserlichen Schutz mit einem Schutzbrief, in dem Hildegard zum ersten Male  „abbatissa“  genannt wurde.  Das Kloster bekam keinen Vogt als Verwalter, da diese oft sehr selbstherrlich waren und zu viel Macht im klösterlichen Leben entwickelten, bis hin zur Mitsprache bei der Wahl der Äbtissin oder des Abtes. Es wurde dem Bistum Mainz unterstellt.

1163-1170  schreibt sie den „Liber  Divinorum   Operum“,  das Buch der göttlichen Werke. 

Das Eibinger Klosterr im 17. Jhdrt


1165 gründet Hildegard das rechtsrheinische Kloster Eibingen, dessen Nachfolgekloster „St Hildegard“ noch heute besteht.
 Viele adlige Familien waren bestrebt ihre Töchter, durch den guten Ruf Hildegards, auf dem Rupertsberg unterzubringen, darum erwarb Hildegard das ungenutzte Kloster. Der Rupertsberg konnte nicht mehr alle Nonnen aufnehmen. Trotz ihres hohen Alters überquerte Hildegard zweimal in der Woche den Rhein um ihre Plichten als Äbtissin wahrzunehmen.  
                                                                                    
1173 stirbt ihr Sekretär Volmar, welcher vorher (1155) von Abt Kuno vom Disibodenberg schon zurückgerufen war. Hildegard war damals dadurch so aufgebracht, dass sie trotz einer akuten schweren Krankheit persönlich auf den Disibodenberg ritt und den Abt im Kapitelsaal erbost zur Rede stellte. Der ungeheuerliche Auftritt Hildegards bewegte den Klostervorstand tatsächlich zum Einlenken. Volmar blieb ihr Sekretär bis zu seinem Tode. Weitere Konflikte ergaben sich mit dem Disibodenberg aus dem Streit um Ländereien. Abt Kuno starb kurz nach dem Eklat 1155 und Hildegard konnte nach zähen, zweijährigen Verhandlungen, die Konflikte mit dem Nachfolger Helenger beenden. 

1174 beginnt Gottfried vom Disibodenberg neuer Sekretär und Spiritual auf dem Rupertsberg eine Vita über Hildegard zu schreiben, aber auch er verstirbt nach kurzer Zeit (1176). Sie hatte Gottfried erst mit Hilfe von Papst Alexander III. als Propst und Sekretär auf den Rupertsberg holen können.
                                                 
1177 kommt Wibert von Gembloux nach dem Tod Gottfrieds nach Bingen und bleibt als Sekretär auf dem Rupertsberg. Er schreibt weiter an der Vita von Hildegard.                                                                                                                                                                            

1178 verhängt das Mainzer Domkapitel das Interdikt über Hildegards Kloster, wegen Ungehorsam gegenüber dem Erzbischof von Mainz. Sie wollte einen verstorbenen, sündigen, aber reuigen Edelmann entgegen der ausdrücklichen Anweisung des Mainzer Erzbischofs nicht aus der geweihten Erde des Klosters Rupertsberg exhumieren. Sie ebnete die Grabstelle ein und machte somit das Grab unauffindbar. Sie sagte: “Er hat durch die Beichte seinen Frieden mit Gott gemacht und wegen ein paar aufgeregter Weiber werde ich ihn nicht aus der geweihten Erde nehmen.“ -  Ein paar Frauen aus Bingen hatten sich beim Erzbischof beschwert.
Als der Erzbischof in Rom weilte, bat sie seinen Vertreter um Aufhebung des Interdikts. Dieses wurde ihr gewährt, aber jemand aus dem Domkapitel schickte einen reitenden Boten nach Rom, um dem Erzbischof Meldung zu erstatten. Darauf wurde das Interdikt verschärft über das Kloster verhängt. Auf langes persönliches Bitten von Hildegard wurde 


1179 das Interdiktaufgehoben. Erstaunlich an der harten Strafe war, dass Hildegard schon zu der Zeit die herausragende Persönlichkeit war, welche sie bis heute durch die Zeiten geblieben ist. Auch wenn sich jede Epoche ein eigenes Bild von ihr gemacht hat.

1179  stirbt Hildegard am 17. September.
An ihrem Todestag werden jährlich in einer Prozession ihre Gebeine in einem Sarkophag durch die Straßen des Dörfchens Eibingen getragen.


 




1185 führt Theoderich von Echternach die von Gottfried begonnene Vita zu Ende.                                                                                                                                                                                                
                                                                                              
1228 wurde ein Heiligsprechungsverfahren eingeleitet. Am 16. Dez. 1233 wurde im Rupertsberger Kloster der Zeugenbericht von Hildegards Wundertaten versiegelt und nach Rom gebracht, aber vom Papst wegen formaler Unzulänglichkeiten zurückgewiesen.
1243 beauftragte Papst Innozenz IV. den Mainzer Erzbischof das Protokoll zu überarbeiten, was auch geschah. Vermutlich zeigte der Mainzer Klerus kein Interesse an der Kanonisation und sandte das Protokoll nicht nach Rom zurück. 
So kam es nie zu einer Heiligsprechung. Hildegard ist bis heute eine „Volksheilige“ geblieben.

Anmerkung:
2012                                                                                                                                Während ich dies schreibe, wird evtl. die Erhebung zur Kirchenlehrerin und damit endlich die Kanonisierung von Hildegard von Bingen im Herbst dieses Jahres erfolgen.
1632 wird Hildegards Kloster auf dem Binger Rupertsberg ein Opfer des dreißigjährigen Krieges. Das Kloster wird nie wieder aufgebaut.
1802  wird  Hildegards  Kloster in Eibingen während der Säkularisation aufgehoben.

1900 - 1904 entsteht die heutigen Abtei St Hildegard oberhalb von Eibingen, besiedelt von Benediktinerinnen aus St Gabriel /Prag.  
ildegard Charlotte Kerner schreibt, dass eine Nonne, die auf wundersame Weise aus dem 12. Jahrhundert in unsere Zeit versetzt würde, nicht verwirrt wäre. Sie könnte sich in die seit fünfzehn Jahrhunderten währende Stetigkeit wieder einreihen.
Wer aus der Abteikirche von St Hildegard tritt, erblickt die Weinreben, den Rhein und dieselben Berge und Gestirne wie Hildegard.
Zeit ohne Grenzen.
Eine Ahnung.

Kloster St. Hildegard heute


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