Träume
Im Altertum und bei den Naturvölkern tun die Götter ihren
Willen und ihre Absichten den Menschen durch Träume kund. Die Bibel scheint
diese Meinung zu teilen:
Hiob sagt (Hiob 33.14-18)
Denn einmal redet Gott
/ und zweimal, man achtet nicht darauf.
Im Traum, im
Nachtgesicht, / wenn tiefer Schlaf auf die Menschen fällt, /
im Schlummer auf dem Lager,
da öffnet er der
Menschen Ohr / und schreckt sie auf durch Warnung,
um von seinem Tun den
Menschen abzubringen, / den Hochmut aus dem Manne auszutreiben,
seine Seele vor dem
Grab zu retten, / sein Leben davor, in den Todesschacht hinabzusteigen.
Mit seinen Propheten redet Gott deutlicher. Die großen
Propheten des Alten Testaments erhalten Gottes Botschaft im Wachzustand. Mit
seinem Mose spricht Gott von „Angesicht zu Angesicht“.
Hier die Beschreibung einer der vielen Rebellionen gegen
Moses auf dem Weg durch die Wüste:
Num 12, 1-8
Als sie in Hazerot
waren, redeten Mirjam und Aaron über Mose wegen der kuschitischen Frau, die er
sich genommen hatte. Er hatte sich nämlich eine Kuschiterin zur Frau genommen.
Sie sagten: Hat etwa
der Herr nur mit Mose gesprochen? Hat er nicht auch mit uns gesprochen? Das
hörte der Herr.
Mose aber war ein sehr
demütiger Mann, demütiger als alle Menschen auf der Erde.
Kurz darauf sprach der
Herr zu Mose, Aaron und Mirjam: Geht ihr drei hinaus zum Offenbarungszelt! Da
gingen die drei hinaus.
Der Herr kam in der
Wolkensäule herab, blieb am Zelteingang stehen und rief Aaron und Mirjam. Beide
traten vor
und der Herr sprach:
Hört meine Worte! Wenn es bei euch einen Propheten gibt, so gebe ich mich ihm
in Visionen zu erkennen und rede mit ihm im Traum.
Anders bei meinem
Knecht Mose. Mein ganzes Haus ist ihm anvertraut.
Mit ihm rede ich von
Mund zu Mund, von Angesicht zu Angesicht, nicht in Rätseln. Er darf die Gestalt
des Herrn sehen. Warum habt ihr es gewagt, über meinen Knecht Mose zu reden?
Sieht man allerdings genauer hin, so fällt auf, daß Träume
in der Bibel eine verhältnismäßig geringe Rolle spielen, besonders im Vergleich
zu den Nachbarreligionen im alten Orient. Zu den großen Propheten spricht Gott
meistens direkt oder in Visionen.
Wenn Gott im Traum spricht, wird das meistens deutlich
gesagt:
Gen.15,12-13: Bei
Sonnenuntergang fiel auf Abram ein tiefer Schlaf; große, unheimliche Angst
überfiel ihn. Gott sprach zu Abram…
Gen.20,3 Nachts kam
Gott zu Abimelech und sprach zu ihm im Traum…
1.Kön.3,5 In Gibeon
erschien der Herr dem Salomo nachts im Traum und forderte ihn auf: Sprich eine
Bitte aus, die ich dir gewähren soll…
Bedeutsame Träume von Israeliten sind meistens leicht
verständlich und werden auch vom Träumer sofort verstanden. Sie brauchen keinen
Traumdeuter.
Als Traumdeuter treten in der Bibel nur zwei Israeliten auf,
Josef und Daniel. In beiden Fällen geht es um Träume von Nichtisraeliten, und
die Handlung spielt in einem fremden Land. Dort (in Ägypten und Mesopotamien)
gilt die Traumdeutung als schwierige und hohe Kunst.
Hier ist ein Traum aus dem Buch der Richter (Ri 7, 8-15)
Gideon entließ also
alle Israeliten, jeden zu seinem Zelt, und sie nahmen die Verpflegung der Leute
und ihre Widderhörner mit. Nur die dreihundert Mann behielt er bei sich. Das
Lager Midians lag unterhalb von ihm in der Ebene.
In jener Nacht geschah
es, dass Jahwe zu ihm sagte: Steh auf, geh zum Lager hinab; denn ich habe es in
deine Gewalt gegeben.
Wenn du dich aber
davor fürchtest hinabzusteigen, dann geh (zuerst allein) mit deinem Diener Pura
ins Lager hinab
und höre, was man dort
redet. Dann wirst du die Kraft bekommen, zum Lager hinabzuziehen. Gideon ging
also mit seinem Diener Pura bis unmittelbar an die Krieger im Lager heran.
Midian und Amalek und
die Leute des Ostens waren in die Ebene eingefallen, zahlreich wie die
Heuschrecken, und ihre Kamele waren zahllos wie der Sand am Ufer des Meeres.
Als Gideon ankam,
erzählte gerade einer dem andern einen Traum. Er sagte: Hör zu, ich hatte einen
Traum: Ich sah, wie ein Laib Gerstenbrot ins Lager Midians rollte. Er gelangte
bis zum Zelt und stieß dagegen, sodass es umfiel und umgestülpt dalag. Dann
brach das Zelt zusammen.
Der andere antwortete:
Das bedeutet nichts anderes als das Schwert des Israeliten Gideon, des Sohnes
des Joasch. Gott hat Midian und das ganze Lager in seine Gewalt gegeben.
Als Gideon die
Erzählung von dem Traum und seine Deutung hörte, warf er sich nieder und
betete. Dann kehrte er ins Lager Israels zurück und rief: Auf! Der Herr hat das
Lager Midians in eure Gewalt gegeben.
Ist dieser Traum prophetisch?
Oder ist er eine selbsterfüllende Prophezeiung?
Enthält die Erzählung eine verborgene Ironie, etwa so: Seht,
was das für Angsthasen sind, sie lassen sich von ihren Träumen ins Bockshorn
jagen?
Der Traum bringt dem Träumer seine Ängste und Wünsche zum
Bewusstsein. Gerade dadurch kann er zur Prophezeiung werden. – Aber ist das
immer die ganze Erklärung?
…………
Man kann nicht verkennen, daß die Bibel Träumen gegenüber
eine gewisse Skepsis hegt, jedenfalls dann, wenn die Träumer mit prophetischem
Anspruch auftreten.
Im Buch Deuteronomium sagt Moses (Deut.13, 2-4)
Wenn in deiner Mitte
ein Prophet oder ein Traumseher auftritt und dir ein Zeichen oder Wunder
ankündigt,
wobei er sagt: Folgen
wir anderen Göttern nach, die du bisher nicht kanntest, und verpflichten wir
uns, ihnen zu dienen!, und wenn das Zeichen und Wunder, das er dir angekündigt
hatte, eintrifft,
dann sollst du nicht
auf die Worte dieses Propheten oder Traumsehers hören; denn der Herr, euer
Gott, prüft euch, um zu erkennen, ob ihr das Volk seid, das den Herrn, seinen
Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele liebt.
Also sogar wenn die Prophezeiung eintrifft, soll man nicht
auf ihn hören.
Auch Jeremia äußert sich sehr deutlich (Kap.25, Vers 25-26,
28-30)
Ich habe gehört, was
die Propheten reden, die in meinem Namen Lügen weissagen und sprechen: Einen
Traum habe ich gehabt, einen Traum.
Wie lange noch? Haben
sie denn wirklich etwas in sich, die Propheten, die Lügen weissagen und selbst
erdachten Betrug?
Der Prophet, der einen
Traum hat, erzählt nur einen Traum; wer aber mein Wort hat, der verkündet
wahrhaftig mein Wort. Was hat das Stroh mit dem Korn zu tun? - Spruch des
Herrn.
Ist nicht mein Wort
wie Feuer - Spruch des Herrn - und wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert?
Darum gehe ich nun
gegen die Propheten vor - Spruch des Herrn -, die einander meine Worte stehlen.
Diese Charakterisierung des prophetischen Wortes erinnert an
die bekannte Stelle im Brief an die Hebräer, 4.12
Denn lebendig ist das Wort Gottes,
kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert;
es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist,
von Gelenk und Mark;
es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens;
Diese Schärfe des prophetischen Wortes steht im Gegensatz
zur Unbestimmtheit und dem Wunsch- oder Angstcharakter vieler Träume, die meistens
nur etwas über den Träumer selbst aussagen.
Ein anderer Grund für das relative Zurücktreten der Träume
gegenüber der direkten Offenbarung in der Bibel liegt vermutlich darin, daß die
Prophetie sich immer an die Gemeinschaft als ganzes wendet. Im Alten Testament
wendet sie sich an das ganze Volk Israel, später dann an die ganze Christenheit
oder die ganze Menschheit. Träume dagegen sprechen in erster Linie den Träumer
selbst an und nur indirekt die Gemeinschaft.
Unter dieser Einschränkung kann der Traum allerdings ein
unverhofftes Geschenk sein, und dem Träumer wesentlichen Aufschluss über sich
selbst geben. Da scheint es dann fast gleichgültig, ob der Traum aus einem
Unbewussten aufgestiegen ist, das klüger und vollständiger ist als das Bewusstsein
(Carus, Jung), oder von Gott geschickt wurde.
So passiert es nicht selten, daß Krankheiten sich früher im
Traum ankündigen als das Bewusstsein sie wahrnimmt. Das war im Altertum
wohlbekannt. Aristoteles erklärt es dadurch, daß am Tage das Bewusstsein durch
äußere Eindrücke beschäftigt und abgelenkt wird, während im Traum schwache
Reize, die von einem kranken Organ ausgehen, in voller Wirkung erscheinen.
Im Kap.4 des Buches Daniel wird ein dramatischer Fall dieser
Art beschrieben.
König Nebukadnezar von Babel träumt einen Traum der ihn
beunruhigt. Daniel deutet ihn. Der König wird wahnsinnig werden, wird sich aber
später wieder erholen. So geschah es dann auch.
***
Josef, Träumer und Traumdeuter
Wir wollen uns jetzt mit Josef und seinen Träumen
beschäftigen, dem Josef, der 2000 Jahre
vor dem Josef des Neuen Testaments lebte, und von dem dieser seinen Namen hat.
Jakob (auch Israel genannt) hatte 12 Söhne, aus denen die 12
Stämme des Volkes Israel hervorgingen. Deshalb hat Jesus gerade 12 Jünger
gewählt, um auf diese Weise symbolisch das zerstreute Volk um sich zu sammeln.
Josef und Benjamin (der jüngste) waren Söhne von Jakobs
Lieblingsfrau Rachel (seine andere Frau Lea war ihm in der Hochzeitsnacht
untergeschoben worden).
Josef ist Jakobs Lieblingssohn, und Jakob hofft, daß er
dereinst seine Nachfolge antritt. In der Erzählung es geht u.a. darum, ob Josef
die mit Abraham beginnende Heilsgeschichte fortführen kann. Es wird sich
herausstellen, daß das nicht der Fall ist.
Die Erzählung ist sehr sorgfältig komponiert. Sie enthält
viele unscheinbare Hinweise und scheint manchmal mehrdeutig. Wir müssen sie
langsam lesen.
Wir wollen lesen aus der Genesis (1.Buch Mose)
Kap. 37, Vers 1-11, Josefs Träume
Kap. 39 Josef in Ägypten
Kap.40 Die Träume des Mundschenk und des Bäckers
Kap. 41, 1-45 Pharaos Träume
Ich schlage vor, daß ihr diese Texte zum nächsten Treffen
lest bevor ihr in den Kommentar guckt.
Wer keine Zeit oder Lust hat, braucht den Kommentar nicht zu
lesen. Wir werden das meiste davon wohl bei unserem Treffen besprechen.
Kommentar zu Josef
Ich halte mich im wesentlichen an
Leon R.Kass,
The Beginning of Wisdom; Reading Genesis
2003
Gelegentlich bringe ich auch Material aus
Nahum M.
Sarna,
Understanding Genesis; The World of the Bible in the Light of History
1966
Josefs Träume: Gen (1.Buch Mose) Kap. 37, Vers 1-11
Vers 2
Schon ganz am Anfang Hinweise auf Josefs Charakter. Hat
Josef seine Brüder vielleicht verleumdet? Später wird Potfars Frau ihn
verleumden.
Andererseits ist bekannt, daß mindestens zwei der Brüder
(Simeon und Levi, Kap.34) hinterlistig und brutal sind. Sein Vater hat
Josef die undankbare Aufgabe übertragen,
sie zu überwachen.
Der
mittelalterliche jüdische Kommentator Raschi kommentiert: was die Brüder Böses taten so: Sie aßen Fleisch von noch lebenden
Tieren. Weil Josef das berichtete, wurde sein Ärmelrock in das Blut eines
Ziegenbocks getaucht. Die Brüder erniedrigten die Söhne ihrer Mägde indem sie
sie Sklaven nannten. Weil Josef das berichtete, wurde er selbst als Sklave
verkauft. Sie wurden unerlaubter sexueller Handlungen verdächtigt. Weil er das
berichtete, warf Potifars Frau ihre Augen auf ihn.
Vers 3
Der „Ärmelrock“ könnte mehr sein als ein Schmuckstück. Er
könnte ein äußeres Zeichen seiner zukünftigen Position sein. Später in Ägypten
wird er noch viel prächtiger gekleidet sein. Joseph wird später mehrmals seinen
Rock verlieren. Er steht dann „nackt“ da.
Verse 5-11
Josefs Träume. Sind die Träume prophetisch? Sagen sie etwas
über Josefs Charakter?
Leon Kass meint: Joseph zwingt seine Brüder ihm zuzuhören.
Ist er naiv, arrogant, oder provoziert er sie absichtlich?
Aber es könnte auch sein, daß er selbst von seinen Träumen
überrascht und verstört ist und sie deshalb erzählt.
Wie kommt Josef dazu, als Schäfer von Garben zu träumen?
Pharao wird später von Ähren träumen.
Der zweite Traum noch grandioser als der erste. Josef
herrscht über den ganzen Kosmos. Aber die Himmel sollen die Ehre Gottes
verkünden!
Diesmal ist Jakob dabei. Leon Kass meint: Josef hofft, die
Anwesenheit des Vaters werde die Brüder bewegen, seine Autorität zu
akzeptieren.
Es kann aber auch sein, daß mit diesem Traum Josefs
Verstörung nur gewachsen ist. Er hofft Aufschluss von seinem Vater darüber, was
da mit ihm passiert, und ob diese Träume wirklich prophetisch sind. Gerade die
Verdoppelung des Traumes beunruhigt ihn. Aber er bekommt keinen Aufschluss.
Stattdessen demütigt ihn der Vater vor den Brüdern.
Auch der zweite Traum ist ägyptisch. Ägypten ist das Land
der Magie, durch die man den Kosmos und die Götter bezwingt. – Der Vater
versteht den Traum wohl, aber er spielt ihn herunter: Sterne als Brüder etc.
Einige Feinheiten des Textes gehen in der
Einheitsübersetzung verloren. Es heißt wörtlich Josef „träumte einen Traum“.
Das könnte andeuten, daß Josef versponnen ist in seine Träume, daß er selbst
der Autor seiner Träume ist.
In
der hebräischen Bibel träumen außer
Josef nur Ausländer einen Traum. Der
oben erwähnte Midianiter in Ri.7.13, Bäcker und Mundschenk im Gefängnis ebenso
wie Pharao träumen Träume. Israeliten sehen oder hören Dinge im Traum, sie
träumen keinen Traum.
Andererseits waren sie ja tatsächlich prophetisch.
*
Josef wird bald danach von den Brüdern nach Ägypten
verkauft.
Er kommt in Ägypten an als Sklave. Seine Mutter ist schon
lange tot. Sein geliebter und verehrter Vater hat ihn verraten und an die
Brüder ausgeliefert, die ihn fast ermordet hätten. Er ist ganz auf sich
gestellt.
Ob er sich an seine Träume erinnert?
Kap. 39
Vers 1-7
Der Herr war mit Josef.
Weiß Josef davon, ahnt er es?
Potifar kümmerte sich nur um sein Essen; die Ägypter aßen
nicht mit Fremden, sie hatten ihre eigenen Speisegesetze.
Potifar ist Eunuch wie alle hohen Beamten im Palast.
Vers 6-18
Josef war schön von Gestalt.
Er ist der einzige Mann der Bibel, von dem das gesagt wird.
Schönheit ist ein gefährliches Geschenk. Wie soll ein
schöner Mensch sich betragen, wie soll er auftreten? Die Schönen werden
geliebt, aber können sie auch zurücklieben?
Versuchen wir uns das Leben in Potifars Haus vorzustellen.
Die Frau hatte sicher schon lange ein Auge auf Josef geworfen.
Hat er es gemerkt?
Hat er sie vielleicht bewusst oder unbewusst provoziert? Was
könnte dafür sprechen?
Josef scheint nicht beschämt und seine Antwort ist nicht
ohne Stolz. Ist er selbstgerecht?
Ob ihm seine Keuschheit schwer fällt?
Der mittelalterliche jüdische Kommentator Raschi schreibt:
Sobald Josef sah, daß er im Hause herrschte, aß und trank
er und legte sein Haar in Locken. Der Heilige, gelobt sei er, sagte zu ihm:
Dein Vater trauert und du legst deine Haar! Ich werde eine Bärin gegen dich
loslassen.
Wieder wird ihm sein Gewand ausgezogen – eine Art von
Demaskierung?
Andererseits liegt kein Grund vor an seiner Ehrlichkeit zu
zweifeln. Wenn er sagt
Wie könnte ich da ein
so großes Unrecht begehen und gegen Gott sündigen?
so meint er das auch.
In Ägypten wie im ganzen Altertum außerhalb Israels galt
Ehebruch nur als Vergehen gegen den Mann. Die Götter interessierten sich dafür
in der Regel nicht. Josef antwortet hier ganz als Hebräer, und die Frau muss
sich über seine Antwort gewundert haben.
Vers 19-20
Es ist unklar worüber Potifar wütend ist, ob nur auf Josef
oder auch auf seine Frau.
Eigentlich sollte er Josef zum Tode verurteilen, aber er tut
es nicht.
Rest des Kapitels
Wie immer, fällt Josef auf die Füße. Er kann verwalten und
organisieren. Er ist zuverlässig, und wahrscheinlich erstattet er auch dem
Gefängnisleiter Bericht über die Gefangenen, so wie er es früher mit seinen
Brüdern tat.
In den beiden folgenden Kapiteln wird Josefs in Ägypten
hochgeschätzte Fähigkeit der Traumdeutung ihn von ganz unten nach ganz oben
bringen.
Kap. 40
Vers 1
Bäcker und Mundschenk sind dem Pharao sehr nahe. Sie sind Eunuchen
und einflussreiche höhere Beamte am Hof. Der Pharao als Gottkönig reagiert sehr
empfindlich auf Störungen seines körperliche Wohlbefindens. Jede Unpässlichkeit
wird Bäcker und Mundschenk in die Schuhe geschoben
Vers 2
Wäre die Schuldfrage klar, würden die Köpfe rollen. Die
Tatsache, daß beide ins Gefängnis geworfen werden bedeutet, daß nur ein
unbestimmter Verdacht besteht. Aber es ist bekannt, daß Gefangene leichter
reden. Ein zuverlässiger Aushorcher wird vielleicht Näheres erfahren.
Vers 4:
Die Einheitsübersetzung
hält sich hier nicht eng genug an den Text. Besser ist:
Der Oberste der Leibwache ordnete Josef den Männern zu und
er bediente sie
Es soll sie aushorchen unter dem Vorwand sie zu bedienen.
Früher hatte er dem Vater die bösen Taten der Brüder
berichtet, jetzt berichtet er dem Gefängnisvorsteher.
Vers 6-7
Sie sehen „missmutig“ aus, aber Josef spricht von „böse“ und
deutet damit ein Vergehen an.
Vers 8a
Sie träumten einen
Traum. Die Formulierung deutet an, daß der Traum aus ihrem Inneren aufstieg
und nicht von Gott gesandt wurde.
Vers 8b
Sie schieben ihren Missmut auf das Fehlen eines
Traumdeuters, aber Josef hatte ihre Gesichter vielleicht besser gelesen.
Vers 8c: Josef sagte zu ihnen: Ist nicht das Träumedeuten Sache Gottes? Erzählt mir doch!
Wir wissen schon: Bescheidenheit ist seine Sache nicht.
In Ägypten war es nicht ungewöhnlich, daß ein Traumdeuter
von sich behauptete, göttliche Fähigkeiten zu haben. Mundschenk und Bäcker
reagieren denn auch nicht überrascht.
Vers 9
Der Mundschenk zögert nicht, seinen Traum zu erzählen. Die
Tatsache, daß er sofort spricht, könnte auf ein reines Gewissen hindeuten.
Vers 10-15: Traum des Mundschenk
Der Mundschenk geht im Traum aktiv und freudig seiner
Aufgabe nach. Es offenbart ein gutes Gewissen. Dreimal erwähnt er den Pharao.
In seiner Antwort erwähnt auch Josef den Pharao dreimal.
Josef spiegelt dem Mundschenk seine optimistische Haltung
zurück: Du wirst wieder in deinen alten Posten eingesetzt werden und das tun,
was du eben geträumt hast.
Der Schlüssel zur Interpretation des Traumes ist die
Einführung der Zeit, und Josefs Deutung von statischen Bildern als Symbole der
Zeit. Das gilt auch später für Josefs Deutung von Pharaos Traum.
Leon Kass bespricht in seinem Kommentar zwei mögliche
Deutungen des Textes: Nach der ersten verfügt Josef tatsächlich über
ungewöhnlich tiefe Fähigkeiten, das Verborgene zu lesen. Nach der zweiten ist
er nicht viel mehr als ein guter Menschenkenner und geschickter Blender.
Es folgt eine freie Übersetzung aus dem Kommentar von Leon
Kass:
Die Zeit und der Verfall, der mit der
Zeit einhergeht, sind zu allen Zeiten tief beunruhigend gewesen. Warum werden
wir alt und sterben?
Die Menschen haben immer versucht,
Veränderung durch Unveränderliches zu erklären. Das können unzerstörbare Atome,
ewige Formen, die Gesetze der Bewegung sein, oder Gott.
In ihrer Lebensführung nehmen die
Menschen typischerweise zwei gegensätzliche Haltungen zur Veränderung ein: Sie
versuchen sie zu verhindern und die Gegenwart zu fixieren, oder sie akzeptieren
die ständige Veränderung und erhoffen sie vielleicht. Dieser Unterschied ist
der Unterschied zwischen Ägypten und Israel.
Ägypten will Veränderungen verhindern
und die Zeit stillstehen lassen. Die Ägypter suchten Dauer und Ewigkeit im Irdischen, und wenn Änderung sein
musste, so sollte sie zyklisch sein und immer wieder zum Ausgangspunkt
zurückkehren. So wurde der Kreislauf des
Tages und des Jahres verehrt und der zyklisch an- und abschwellende Nil.
Für die Kinder Israels dagegen ist
gerade die Zeit Ausdruck ihrer Identität und ihrer Hoffnung. Gott hatte Abraham
das gelobte Land versprochen, aber es war noch kein Moses gekommen der sie
dorthin geführt hätte. Sie sind ausgespannt zwischen einer Vergangenheit die vergangen
ist, und einer Zukunft, die noch nicht ist.
In den Träumen der Ägypter ist nun auf
typisch ägyptische Weise die Zeit durch räumliche Symbole dargestellt. Das zu
erkennen gelingt Josef aufgrund seiner hebräischen Herkunft. Nur er kann in den
räumlichen Symbole (drei Reben) die zeitliche Bedeutung (drei Tage) erkennen.
…
Kass neigt dann aber doch der zweiten Deutung zu.
Diese Deutung stützt sich wesentlich auf Vers 20: Drei Tage darauf hatte der Pharao Geburtstag.
Jeder wusste, daß dieser Geburtstag ein bedeutender Feiertag war, wo der Pharao
Gastmähler gab, und wo anscheinend Amnestien erlassen wurden. Josef war von der
Unschuld des Mundschenk überzeugt, und hat sicher den Gefängnisoberen davon
Mittelung gemacht. Es gehören daher keine hellseherischen Gaben dazu, die
Amnestie für den Mundschenk vorauszusagen.
Vers 16-19 Traum des Bäckers
Der Bäcker erzählt seinen Traum als zweiter, erst nachdem
der Mundschenk eine günstige Deutung erhalten hatte. Er ist nicht optimistisch
wie der Mundschenk und spürt innerlich, daß sein Traum eine negative Botschaft
enthält. Der Bäcker erwähnt Pharao nur einmal, er dient ihm nicht im Traum,
sondern bemerkt nur wie erstarrt die Vögel, die das Backwerk auffressen. Es
kann sein, daß er wirklich schuldig ist, und im Traum schon die Raben
voraussieht die sein Fleisch fressen werden. Josef spiegelt auch ihn: Er sagt
ihm genau das voraus, was er insgeheim fürchtet.
Auch diesen Traum und seine Deutung wird Josef dem
Gefängnisoberen melden, und damit vielleicht zum Schicksal des Bäckers
beitragen.
Kap. 41, 1-45 Pharaos Träume
Vers 1-8
Beide Träume sprechen von Hunger und Sättigung.
Das Thema einer siebenjährigen Hungersnot wurde oft in der
Literatur des Nahen Ostens behandelt. Hier ein Text aus der Zeit des Pharao
Djoser (Altes Reich, ca. 2700 vor Chr.)
Ich war in Not auf dem großen Thron, und alle im Palast
waren unglücklich wegen eines sehr großen Übels. Der Nil war sieben Jahre nicht
gekommen. Es gab wenig Korn, die Früchte vertrockneten und es gab kaum etwas zu
essen.
Warum können die ägyptischen Traumdeuter die Träume nicht
deuten?
Es könnte sein, daß sie die Einheit der beiden Träume nicht
erkennen, die Pharao vage ahnt.
Es könnte auch sein, daß sie nicht Überbringer von
schlechten Nachrichten sein wollen und lieber schweigen.
Vers 14
Zum drittenmal wird Josef aus einer Grube gezogen und zum
drittenmal wechselt er seine Kleider, diesmal freiwillig.
Josef rasiert sich. Er gleicht sich damit den Ägyptern an,
die sich als einziges Volk damals rasierten. Wieder der Versuch der Ägypter,
der Veränderung und dem Verfall zu entgehen und in ewiger Jugend zu leben.
Vers 16
Josef stellt sich wieder als Mundstück Gottes dar. Man kann
seine Antwort aber auch so übersetzen: Außer
mir kann nur Gott dem Pharao eine Antwort des Friedens geben.
Vers 25
Nachdem der Pharao seinen Traum erzählt hat, kommt Josefs
Antwort wie aus der Pistole geschossen.
Der Schlüssel seiner Interpretation ist wieder die
Übersetzung räumlicher Symbole in zeitliche.
Vers 33
Wir erfahren nicht wie Pharao Josefs Deutung aufnimmt, denn
Josef spricht sofort weiter und erteilt dem Pharao Ratschläge. Damit riskiert
er, anmaßend zu erscheinend, aber er hat die Situation richtig gelesen. Pharao
ist nicht so sehr an der richtigen Deutung interessiert, sondern vor allem an
den Folgen für seine Herrschaft und Macht. Josefs Vorschläge müssen Musik sein
in seinen Ohren. Josef schlägt einen Premierminister vor, der nur dem Pharao
verantwortlich ist und die Kontrolle über das ganze Land zentralisiert. Während
der Hungersnot wird die Verfügung Pharaos über alle Nahrungsmittelvorräte im
Land seine Macht vergrößern und mögliche Rivalen schwächen.
Vers 37a Die Rede gefiel dem Pharao
Vermutlich gefiel ihm nicht nur die Deutung des Traumes,
sondern vor allem Josefs Plan, der seine Macht vergrößern wird. Josefs
Verstandesschärfe, Tatkraft und Mut (auf diese Weise vor dem Pharao
aufzutreten), seine gottgleiche Selbstsicherheit, machen ihn zum idealen
Kandidaten für diese Position. Dazu kommt, daß Josef keinerlei Anhang in
Ägypten hat, also ausschließlich vom Pharao abhängt, der ihn jederzeit wieder
verstoßen kann.
Vers 37b und allen seinen Hofleuten
kann man durchaus ironisch lesen. Dieser hebräische Sklave
wird ihnen allen vor die Nase gesetzt, und sie müssen freundlich grinsen und
Beifall klatschen.
In Vers 25 heißt es Gott
sagt dem Pharao an, was er vorhat.
Vielleicht hatte Gott gute Gründe dafür? Diese Frage kommt
Josef nicht in den Sinn. Er schlägt technisch-administrative Maßnahmen vor um
Gottes Plan zu vereiteln.
Ein von Gott
geschicktes Übel erfordert drastische Maßnahmen, und der Pharao ergreift
freudig die Gelegenheit sich als der stärkere „Gott“ zu erweisen
Vers 28 b …einen Mann
wie diesen hier, einen, in dem der Geist Gottes wohnt?
Der Geist Gottes
hatte zuletzt in Gen.1,2 über dem Chaos geschwebt, unmittelbar vor der
Schöpfung. Hier spricht Pharao den Josef als Pseudogott an, der menschliche
Ordnung in das Chaos der Natur bringen wird. Allerdings hatte Gott in der
Schöpfung die durcheinander wirbelnden Elemente des Chaos getrennt in
Licht-Finsternis, Erde-Wasser etc. Josef dagegen wird Unterschiede aufheben und
alle Besitztümer Ägyptens in der Hand des Pharao vereinigen (in Kap. 47)
Vers 42 Der Pharao… bekleidete ihn mit
Byssusgewändern und legte ihm die goldene Kette um den Hals.
Jetzt endlich hat Josef das für ihn passende Gewand. Er wird
es tragen bis zu seinem Tod
Vers 44 ohne dich soll niemand seine Hand oder
seinen Fuß regen in ganz Ägypten.
Josef hat absolute Macht über das tägliche Leben jedes
Ägypters. In seiner Position wird er nicht nur Voraussicht und Klugheit
brauchen, sondern auch eine Portion Rücksichtslosigkeit. Der Pharao wusste,
warum er diese Position einem Ausländer übertrug. Wenn Opposition und Hass
entsteht, werden sie sich auf ihn richten.
Übrigens war es nicht ungewöhnlich, daß Ausländer sehr hohe
Positionen in Ägypten einnahmen. Im Buch von Sarna findet man Beispiele.
Vers 45 Der Pharao…
gab ihm Asenat, die Tochter Potiferas, des Priesters von On, zur Frau.
Josef nimmt das schweigend hin. Seinen Vater hatte der Eros
getrieben, ihn treibt sein alter Traum von Herrschaft und Ehre.