Montag, 20. Februar 2012

Das mythisch-religiöse Süditalien und seine Heiligen

San Gennaro - San Michele - Padre Pio

Die Wallfahrtsorte dieser oben genannten Heiligen befinden sich im Süden der apenninischen Halbinsel. Hier im mezzogiorno treten wir in eine andere Welt ein und es bedarf einer kurzen Einführung, die dazu dient, einige Begriffe und/oder Ortsnamen und deren Lage zu erklären.

    Erst einmal, was ist ein Mythos? Dazu gibt es unterschiedliche Interpretationen und Ansätze. Zunächst einmal ist ein Mythos eine Erzählung. Wenn wir die griechische Mythologie betrachten, entdecken wir, dass Mythen Geschichten oder Erzählungen sind, die uns über die Schöpfung der Menschheit berichten, oder uns über Götter Geschichten erzählen. Spätestens seit den Anfängen der griechischen Philosophie, die um etwas 600 v.Chr. anzusetzen ist, begannen die Mythen an Bedeutung zu verlieren. Es wurde nach anderen Ansätzen gesucht, um den Menschen die Schöpfung und die Welt zu erklären. Das war im Grunde die Geburtsstunde des modernen Denkens, deren Auswirkungen wir heute in unserem Leben in allen Bereichen wiederfinden, insbesondere im wissenschaftlich-theoretischen Denkmuster der westlichen Gesellschaften.

    Die Begriffe Mythos und/oder religiöse Erzählungen sind insofern als identisch zu verstehen, als dass sie beide von archaischen Bildern die sich in Riten, Regeln, Sitten und Gebräuchen wiederspiegeln, durchdrungen sind. Beide Begrifflichkeiten haben den Anspruch die Entstehung des Menschen und der Welt erklären zu wollen, ganz gleich um welche Mythen es sich handelt oder von welcher religiösen Gemeinschaft die Rede ist.

    Da Süditalien u.a. von den orientalischen, griechischen und später christlich-jüdischen Mythen und Religionen stark beeinflusst worden ist, finden wir bis in unserer heutigen "modernen" Zeit, Spuren dieser Strömungen. In der heutigen Zeit, in der die "modernen, säkularen Gemeinwesen" der westlichen Welt den Anspruch in ihren staatlichen Verfassungen erheben, frei von Religion zu sein, kann es als Versuch interpretiert werden, sich von der Wahrhaftigkeit und Realität der Geschichte der Menschen abzuwenden, denn der Mensch und seine Geschichte ist radikal vom Religiösen abhängig, und sie wird es immer sein.

    Wenn ich im vorletzten Absatz geschrieben habe "beide Begriffe - also Religion und Mythos - erheben den Anspruch die Entstehung des Menschen und der Welt erklären zu wollen - ist nicht alles gesagt worden. Mythen und Religionen sollen bestimmte Werte und ihre damit verbundenen Systeme dem Menschen näherbringen; sie sollen das Leben mit den Mitmenschen "gut machen”, d.h.  sich mit den grundsätzlichen Fragen des Lebens aber vor allem des Todes auseinanderzusetzen, das ist oder sind die Themen der Mythen und Religionen. Das Leben im Jenseits, oder besser die Übergänge von diesem in das andere Leben (engl. the afterlife) sind die wesentlichsten Inhalte, sind Sinn und Zweck der Mythen und Religionen. Ein weiteres wichtiges Element ist: Alles was der Mensch tut und denkt, und die Absichten hinter jeder Handlung, sind von auschlaggebender Wichtigkeit. Für das Diesseits und für das Jenseits gleichermaßen.







    In Süditalien ist wie in kaum einer anderen Region Europas (dazu zählen heute wenn überhaupt noch Irland und Polen im Norden, Spanien, Portugal und Teile Frankreichs für den Süden Europas - Russland ausgenommen) das Leben mit diesen Mythen und religiösen Elementen noch am deutlichsten, am lebendigsten zu sehen und zu spüren. Diese Eigenarten werden von Menschen aus Nord-oder Mitteleuropa oft mit Skepis oder mit Argwohn beobachtet, da sie sich dem wissenschaftlich-theoretischen Denken schon viel zu sehr verschrieben zu haben scheinen, und längst vergessen haben, dass aber Mythen und religiöse Rituale die Basis und Voraussetzung für unsere Welt, so wie wir sie zu verstehen und begründen vermögen, gewesen sind.

    Das macht sich in Wallfahrtsorten und Heiligenstätten bemerkbar, die in diesem Landstrich in den letzten ca. 1000 Jahren "wie Pilze aus dem Boden" geschossen sind. In jeder Provinz (Italien ist in Regionen und diese wiederrum in einzelne Provinzen unterteilt) gibt es min. eines dieser Heiligenstätten, die von den Gläubigen in hohem Maße aufgesucht werden, und das nicht nur zum sogenannten "Patronatsfest", sondern auch während des ganzen Jahres.

    Zu den eindrucksvollsten, weil sie visuell, d.h. einerseits aufgrund der für den Heiligen gewidmeten Bauten aber andererseits vor allem durch die Massen der Menschen, die jedes Jahr dort hinpilgern, am wirkungsvollsten erscheinen, gehören der Ort in Apulien San Giovanni Rotondo mit der Kultstätte und einer mittlerweile weltberühmten Klinik, die auf Anordnung des 2002 heilig gesprochenem Padre Pio gegründet wurde. Des weiteren der ganz in der Nähe (ca. 38km) liegende und beschwerlich zu erreichen liegende Ort Monte Sant'Angelo, der seinem Namen der Erscheinung des Erzengels Michael verdankt, und dessen Basilika von diesem mächtigen Erzengel persönlich im Jahre 490 geweiht worden ist. Diese beiden Orte liegen in der Provinz Foggia, die mit annähernd 700.000 Einwohner ein relativ großes Einzugsgebiet vorzuweisen hat.

    Zu guter letzt zählt zu diesen eindrucksvollen Stätten das Heiligtum des San Gennaro, (deutsch.: Ianuarius), in der Landeshauptstadt Neapel. Mit der Vorstellung des "Retters und Beschützers" aller Neapolitaner, möchte ich - und muss ich  - meinen Bericht beginnen, da ich ihm als Kind zum ersten Mal begegnet bin.

Wo nur mit San Gennaro beginnen? Er wird in seiner Heimat der Stadt Neapel von seinen Landsleuten geliebt. Warum? Lassen wir ersteinmal die Mythen sprechen:
"Na, weil er Neapel und somit alle Neapolitaner gerettet hat!"
Wovor?
"Vor dem alles vernichtenden Ausbruch des Vesuvs!"

Dass sei ein für alle mal geklärt, und da wird nicht dran gerüttelt, am besten ist, dass wissen vorab schon mal alle, noch bevor sie jemals nach Neapel fahren sollten oder vorhaben, sich neapolitanische Freunde zu machen.


Aber was geschah wirklich?







    Beweise für die Existenz des Heiligen Gennaro der in Neapel geboren und der am 19. September 305 in Pozzuoli bei Neapel enthauptet wurde, sind spärlich. Ich möchte mich auf die berufen, die den Mythos San Gennaro ausmachen, da ich sie für authentisch halte - im religiösen Sinne. An dieser Stelle muss ich an C.G.Jung denken und ihn zitieren, der in seinem Vorwort zu "Antwort auf Hiob" unterweist, besser davon abzusehen, über "wahr" oder "nicht-wahr" religiöser Gegenstände zu diskutieren, da physische und seelische Wahrheiten in unserem Leben, das von der Nachweisbarkeit und Wissenschaftlichkeit einer Sache so beherrscht zu sein scheint - als wäre unser persönliches Glück davon abhängig - sowieso nicht vereinbar sind.


 Zunächst gibt es eine schriftliche Erwähnung die auf den Heiligen Gennaro bezug nimmt, und die aus den so genannten "atti bolognesi", aus dem Jahre 1180 stammen, und in der Bibliothek der Universität Bologna aufbewahrt sind. Diese "Akte" (damit ist ein Verzeichnis, bzw. Bericht gemeint) ist etwa auf das 6. oder 7. Jhr. zu datieren, und enthält den Bericht der Gefangennahme und des Martyriums von San Gennaro. Der Text ist in Latein verfasst, enthält allerdings viele griechische Elemente, wovon auszugehen ist, dass er ursprünglich auch in Griechisch verfasst wurde.

    In der Passion wird berichtet, dass während der von Dioklezian angeordneten Christenverfolgung, der Diakon der Kirche von Miseno (bei Neapel) verhaftet worden war: sein Name war Sosso, etwa 30 Jahre jung, und bereits in diesen jungen Jahren ein Mann beseelt von Weisheit und Heiligkeit. Sosso kannte Gennaro, war mit ihm befreundet, als Gennaro Bischof von der Stadt Benevento war (Benevento und Neapel sind damals wie heute Städte in der Region Campanien, und sind ca. 100km von einander entfernt). Darüber hinaus bestand die illustre Runde dieser neapolitanischen und beneventanischen jungen Männer aus dem Geistlichen Festo, Gennaros Diakon, und seinem Lektor Desiderius.

    Während eines Aufenthaltes zuvor in Miseno, hatte Gennaro eine Vision gehabt: er beobachtete, als Sosso während der Messe aus dem Evangelium vorlas, wie aus dessen Haupt eine Feuerflamme heraustrat; er verstand dieses Zeichen als Vorankündigung des Martyriums, das sein Freund erleiden sollte. In tiefer Demut und Liebe, küsste Gennaro Sossos Haupt, da er erkannt hatte, dass dieser für Jesus Christus sterben würde. Das ganze sollte sich auch wenig später nach dieser Vision bewahrheiten. Sosso wurde bei dem Stadthalter Draconzio angezeigt, und verhaftet. Als nun Gennaro davon erfuhr, machte er sich von Benevento aus mit seinem Diakon und Lektor auf den Weg, seinen Freund in Neapel im Gefängnis zu besuchen, um ihm Mut zuzusprechen, und ihm im Geiste beizustehen.

    Als echter Neapolitaner und mutiger junger Bischof, konnte Gennaro seinen Mund nicht halten: kaum dass er in das Gefängnis eingetreten war, stellt er laut die provokative Frage: "Perché senza colpa è tenuta in carcere questa creatura di Dio?", zu deutsch etwa: "Wieso hält man ein unschuldiges Geschöpf Gottes gefangen? Da ließ die Verhaftung Gennaros und seiner Begleiter nicht lange auf sich warten. Somit erfolgte die Befragung vor dem Richter, die in der Passione in  den Akten in Bologna zu lesen ist und in etwa so übersetzt werden kann:

"Zu welcher Religion bekennst du dich?" fragte ihn der Richter

Gennaro antwortete: "Ich bin Christ und Bischof" ("Sono cristiano e vescovo")

"Aus welcher Stadt?"

"Der Kirche von Benevento."

"Wer sind diejenigen, die dich begleiten?"

"Der eine ist Diakon, der andere ist Lektor (in) meiner Kirche."

"Bekennen sich diese auch dem Christentum an?"


Darauf Gennaro:

"Mit Sicherheit. Und ich bin mir auch sicher, wenn du sie befragst, werden sie es nicht leugnen, Christen zu sein."

("Certamente, e sono sicuro che se li interroghi non negheranno di essere cristiani.")

Natürlich bestätigten die beiden anderen ihre Treue zum christlichen Glaube, und alle waren folglich bereit für Gott zu sterben.



Drakonzio versuchte sie noch zum heidnischen Glauben zu bekehren, doch Gennaro entgegnete: "Wir bringen Opfer dar und Lobpreis jeden Tag nur unseren Herren Jesus Christus, und nicht euren falschen Göttern."

Somit ordnete der Richter an, dass die jungen Christen ins Gefängnis geworfen, und anschließend den wilden Tieren in der Arena als Speise vorgeworfen werden sollten, zusammen mit Sosso natürlich. Als es zur "Vorstellung" in der Arena kommen sollte, konnte Drakonzio nicht anwesend sein, woraufhin die Vollstreckung verschoben und die Art der Exekution abgeändert wurde:

"Condanniamo alla decapitazione il vescovo Gennaro [...]"
"Es wird der Bischof Gennaro von uns zur Enthauptung verurteilt", und mit ihm teilten auch seine geistlichen Freunde dieses Schicksal.

Nach einigen Tagen wurden die Gefangenen in das Amphitheater von Pozzuoli (bei Neapel) geführt, und mit ihnen weitere Gefangene, die wegen des gleichen Vergehens angeklagt waren (Proculo, von der Kirche aus Pozzuoli und die Brüder Eutiche und Acuzio).

    Ungefähr ab dieser Stelle setzen in den Akten aus Bologna die mysteriösen Ereignisse ein, denn es geschahen die folgende Dinge:

Als die Gefangenen wie in einer Prozession auf der Straße entlang zur Hinrichtung geführt wurden, stiessen sie auf einen sehr armen, alten Mann, der sich Gennaro näherte, sich ihm zu Füssen warf, und ihn bat, ihm Teile seine Bekleidung zu schenken.
Gennaro soll geantwortet haben: "Nachdem mein Leichnam abgelegt worden ist, kannst du das Tuch haben, womit man mir im Augenblick der Hinrichtung, die Augen verbinden wird."

Und weiter:

    Die Mutter des heiligen Bischofs, die sich zu diesem Zeitpunkt in Benevento aufhielt, hatte drei Tage zuvor in einem Traum gesehen, wie ihr Sohn zum Himmel hinaufflog. Beunruhigt nahm die Mutter Erkundungen über ihren Sohn auf, und musste voller Entsetzen erfahren, dass Gennaro auf Grund seines Glaubens in Neapel im Gefägnis sass und auf seine Vollstreckung wartete.





Die Hinrichtung

Nach den Akten aus Bologna sind die Ereignisse um die Enthauptung des jungen Bischofs folgendermaßen abgelaufen:

    Nachdem Gennaro am Ort der Vollstreckung angelangt war, betete er und verband sich mit einem Tuch seine Augen, kniete nieder, legte eine Hand auf seinen Nacken und bat den Henker, ihn mit seiner Waffe zu enthaupten. Der Scharfrichter schwang den Hieb mit enormer Schlagkraft, schlug aber zusammen mit dem Kopf einen Finger der Hand des Heiligen Märtyrers Gennaro ab. Es war der 19. September 305.

Auf ähnliche Weise wurden auch die anderen Gefangenen enthauptet.


Sofort nach seiner Hinrichtung erschien Gennaro dem alten Mann, und schenkte ihm das Tuch, womit er sich kurz vorher die Augen verbunden hatte, und sagte ihm: "Nimm, was ich dir versprochen habe, entgegen."

Der alte Mann nahm mit großer Verehrung das Tuch entgegen und verbarg es, und zeigte es allerdings später triumphierend den Scharfrichtern, als diese ihn höhnisch fragten, ob er denn das bekommen hätte, was Gennaro zuvor versprochen hatte. Als sie das Tuch sahen, verstummte ihr Spott, und eingeschüchtert und verängstigt wurde ihnen bewusst, dass dies ein Zeichen der Heiligkeit Gennaros sein musste.

    In den Akten aus Bologna folgt anschließend die Beschreibung der Bestattung des Heiligen durch das neapolitanische Volk, welche in der Lokalität Marciano (in/bei Neapel) stattgefunden haben soll.

    Anderen Quellen zufolge soll Gennaro vor seiner Hinrichtung noch in einen brennenden Ofen geworfen worden sein, aus dem er heil und lebendig wieder herausgekam, und danach anschließend die Folter auf der Streckbank überlebt haben.
Des weiteren  sollen die Tiere im Amphitheater von Pozzuoli ihm als auch seinen Gefährten nichts angehabt haben, so dass der Statthalter vor Zorn erst dann Gennaro und seine Freunde zum Tode durch Enthaupten verurteilt ließ. Gennaro soll dann im Gebet um das gerechte Eingreifen Gottes gebeten haben, dem Statthalter mit Blindheit zu schlagen, weil er nicht das Licht Gottes anerkennen wollte, sondern ihn und seine Gefährten zum heidnischen Glauben zwingen. Sobald Gennaro das Gebet beendet hatte, verspürte der Statthalter Schmerzen in seinen Augen, und sogleich erblindete dieser. Darauf hin veranlasste dieser die Vollstreckung des Todesurteils aufzuheben, und ließ Gennaro zu sich rufen. Sobald der Bischof dem heidnischen Kommandanten der Stadt vorgeführt wurde, flehte der Heide, Gott zu bitten, ihm wieder sein Augenlicht zu schenken. Nachdem Gennaro Gott bat dem Heiden wieder die Augen zu öffnen, was auch umgehend geschah, traten durch dieses Ereigniss viele Menschen (ca. 5000) zum christlichen Glauben über. Doch der Statthalter schätzte die Geschehnisse für den römischen Kaiser und für sich selbst für dermaßen gefährlich und brisant ein, dass er Gennaro unbeachtet des Wunders schließlich doch zum Tode verurteilten ließ.


Die Ereignisse nach der Hinrichtung Gennaros

    Der Leichnam und der Kopf des Gennaros wurden etwas über 100 Jahre später (vielleicht zwischen 413 und 431) aus diesem Ort Marciano (bei Pozzuoli) nach Neapel überführt. Die Prozession wurde vom Bischhof von Neapel (Zosimo, san Giovanni I oder san Severo?, es gibt verschiedene Quellen, die alle drei nennen) mit anderen Personen die dem Klerus angehörten, und den Verwandten des Heiligen abgehalten, wovon berichtet wird, dass bei der Öffnung der Grabstätte ein ausergewöhnlich wohlriechender Duft zu bemerken war. Der Leichnam Gennaros wurde in purpurroten Tüchern eingewickelt, und die Gruppe begab sich auf die Prozession, die über einen Teil der Via Domiziana, die von Pozzuoli, bis nach Agnano führte, über die Via Antiniana, heute Antignano genannt, den Hügel von Posillipo überquerte, um nach Neapel zu gelangen. Dieser Weg umging die Grotte von Pozzuoli, die dunkel, gefährlich und äußerst staubig war. (Girolamo Maria Di Sant'Anna, Istoria della vita, virtu' e miracoli di San Gennaro Vescovo e Martire, Napoli 1733, S.78)

Dieser Weg wird in der Mai-Prozession noch heute beschritten.

    Der Klerus trug damals Blumengirlanden auf dem Kopf, und die Prozession wurde deswegen die Prozession der "Blumengekrönten", also "inghirlandati" genannt.
Danach soll sich während dieser Prozession das erste Mal die "liquefazione" also die Verflüssigung des Blutes des Heiligen Bischofs zugetragen haben.

    Demzufolge gibt es zwei Versionen, die eine, die Volksüberlieferung und die den Volksmythen zugeschrieben wird, besagt, dass Eusebia, (von der aus einigen Quellen bekannt ist, dass sie Gennaros Amme war, und bei seiner Hinrichtung anwesend, um das Blut in die Ampullen zu füllen; hier allerdings muss es sich um eine Nachfahrin bzw. eine Nachfahrin ggf. einer Bekannten von dieser Eusebia handeln, die das Blut an sich genommen und in die beiden Glasgefässe gefüllt hatte, bzw. eine der Nachfahren von Gennaros Amme, bzw. eine Frau aus der Nachbarschaft der Nachfahren von Gennaro), sich mit diesen zwei Ampullen der Prozession auf der Via Antoniana anschloss, und als sie sich damit an die Seite des Bischofs stellte, fing das darin befindliche feste Blut, an, sich zu verflüssigen bzw. "inizió a muoversi e a bollire" (fing sich an zu bewegen und zu "kochen"). Die Prozession ging weiter bis sie "ex moenia", also ausserhalb der (Stadt-)Mauern, und gelangte in die Katakomben (heute werden sie Le Catacombe die San Gennaro genannt), wo sie den Leichnam und den Schädel mit den Reliquien, also den zwei ampolle, bestatteten. (Girolamo Maria Di Sant'Anna, S.78 ff.)

    In dem von 1573 geschriebenen Bericht mit dem Titel "Vite dei sette santi Prottetori di Napoli" (Das Leben der sieben Schutzheiligen und Patrone Neapels) von Paolo Reggio ist zu lesen, (ich habe es in zusammengefasster Darstellung in die deutsche Sprache übertragen), dass eine kranke Frau mit dem Namen Cristina aus der Stadt Neapel sich in Pozzuoli aufhielt, aus dem Bett aufstand, zwei kleine Gefässe nahm und das Blut bei der Hinrichtung darin aufsammelte. In eines der Gefäße gelangte das "sauberere" Blut, in das andere kam das Blut, in dem ein Strohhalm mit in das Gefäss geriet. (Dieser Gras-oder Strohhalm ist noch heute in der einen Ampulle zu sehen.)

Danach wurde diese Frau vollkommen gesund.

Als diese Frau erfuhr, dass die Neapolitaner das Haupt des Märtyrers mit großen Ehren "umgebettet" hatten, ließ sie sie wissen, dass sie im Besitz des Blutes von Gennaro war. Die Neapolitaner machten sich auf die Suche nach dieser Frau, und als sie sie fanden, und mit ihr die Gefässe, verflüssigte sich das Blut. Seitdem erfolgt das Wunder jedes Mal, wenn das Blut in den Ampullen unmittelbar in die Nähe des Schädels gelangt. Zur Erinnerung an dieses Ereignis und an diesen Tag, findet seitdem jedes Jahr eine Prozession  statt. (aus: Vitale de Rosa, Ianuarius, Napoli, 1973, S.117, ff.)


Die Katakomben von San Gennaro

Es sei an dieser Stelle festzuhalten: wenn wir nach einem Beweis der Existenz und auch der Bestattung von Gennaro suchen wollten, können wir diesen in den Katakomben in Neapel finden: (Die Katakomben  sind sehr geräumig, die ältesten Grabkammern stammen aus dem 2. Jhr.)










    In diesen Gewölben, die in der Nähe des heutigen Capodimonte liegen (für Besucher wunderbar mit der Chiesa del Buon Consiglio zu verbinden, die sich oberhalb der Katakomben befindet, man kann von dort aus in einem netten Spaziergang den Weg nach unten zu den Katakomben begehen), kann diese Grabnische besichtigt werden, in der Gennaro in der Zeit nach der Hinrichtung gebracht worden sein muss. Über der Nische ist ein Fresko zu bewundern, das einen jungen, gutaussehenden dunkelhaarigen und dunkelhäutigen Mann abbilden, vielleicht zwischen 28 und 33 Jahre alt, der mit dem Namen Ianuarius und als Märtyrer bezeichnet wird. Aus dem Fresko können einige Informationen entnommen werden, und zwar hat Gennaro um seinen Kopf eine Aureole, die ihm den Stand der Heiligkeit zuweist, ebenbürtig im Tod mit Jesus Christus. Die Aureole weist hinter Gennaros Kopf das Christusmonogram (Chi und Rho) und des weiteren rechts und links die griech. Buchstaben und das Symbol Christi ALPHA und OMEGA auf. Derjenige, der dieses Fresko malte, ordnete Gennaro Jesus Christus zu – und zwar stellte er ihn auf die gleiche Stufe, vereint im Märtyrertod mit Jesus. Die beiden goldenen Leuchter rechts und links von Gennaro sind ein Hinweis auf seine adelige Herkunft.

Des weiteren sind auf dieser Wandmalerei zwei Frauen zu sehen, links von Gennaro eine größer dargestellte Frau, möglicherweise handelt es sich hierbei um Gennaros Mutter, rechts von Gennaro die kleiner dargestellte, vielleicht handelt es sich hierbei um seine Amme.




San Gennaro kehrt nach über 6 Jahrhunderten zurück nach Neapel


    Wie auch immer es sich tatsächlich zugetragen hat, und wer auch immer sein Blut aufgefangen und aufbewahrt haben soll, die Grabstätte des San Gennaro war seit dem zum Heiligtum des neapolitanischen Volkes geworden. Aufgrund von politischen und kriegerischen Wirren, die hier im Einzelnen nicht erläutert werden sollen, war der Leichnam mit dem Schädel und den Reliquien zeitweilig aus Neapel und aus den Katakomben einmal nach Benevento (am 23. Oktober 831) und von dort aus nach Montevergine (Wallfahrtsort der Heilgen Madonna di Montevergine, bei Avellino, im Kloster des Heiligen Wilhelm, das von diesem 1127 gegründet wurde) gebracht worden. Anfänglich wird berichtet, dass dort für wenigsten ein Jahrhundert die Reliquien den Gläubigen jährlich zugänglich gemacht wurden, doch dann gelang dieser Brauch dort in Vergessenheit.


    Als im Jahre 1496 der Kardinal Alessandro Carafa durch ein päpstliches Dekret, den Leichnam und die Reliquien zurück nach Neapel bringen sollte, wehrten sich die Mönche in Montevergine völlig gegen die Rückgabe des Leichnams und der Reliquien des jungen, neapolitanischen Märtyrers, obwohl sie, wie man aus den Schriften entnehmen kann, vermutlich komplett vergessen hatten, was für ein ungemein wertvollen Schatz sie besassen, bzw. taten sie so, als würden sie nicht in dessen Besitz sein, denn sie versteckten die sterblichen Überreste Gennaros in einem Erdloch im Wald.

    Doch alles Wehren nützte den rebellischen Mönchen nichts. Schliesslich, am 13. Januar 1497, nachdem der Kardinal von Neapel Alessandro Carafa die heilige Messe in Montevergine zelebriert hatte, und die Mönche durch einen Eid schwören liess, dass sie ihm den echten Leichnam, Schädel und Reliquien des neapolitanischen Heiligen und Märtyrers überlassen hatten, deponierte er die wertvollen Überreste Gennaros auf sein Pferd, und machte sich allein auf den Weg, um Gennaro nach 666 Jahren zurück nach Hause - nach Neapel - zu bringen.

Als er an die Tore der Stadt gelangte, stieg er von seinem Pferd ab, und mit nackten Füssen und "con molta umiltá e devozione" (voll von tiefer Demut und Hingabe) trug er auf seinen Armen bis zur Kathedrale den Leichnam Gennaros und legte ihn auf dem Hauptaltar nieder.

    Zu diesem Zeitpunkt konnten die Neapolitaner ihren Heiligen nicht angemessen huldigen, denn es wütete gnadenlos die Pest in der Stadt. Gleichwohl ging das Volk zur Kirche, um Gennaro zu empfangen, und sogleich begannen die Bitten und Gebete um ein Wunder, dass die Pest von ihnen und ihrer Stadt abliesse, was auch durch die Bitte des Heiligen Gennaro bei unserem Herren Jesus Christus geschah. (Raffaele Coppola, Memorie sui fatti della vita, e sul culto di san Gennaro, Napoli, 1857, S. 102).


Der Leichnam Gennaros wurde provisorisch auf/im Hauptaltar des Doms aufbewahrt. Die Reliquien fanden 1511 ihre letzte Ruhe in einem bronzenen Sarkophag, der im sogenannten "Succorpo" der Kathedrale deponiert wurde.





Gennaro ist seit dem 16. Dezember 1646 folgendermaßen zu finden und zu besuchen:

    Betritt man den Dom zu Neapel, befindet sich die Cappella del Tesoro auf der rechten Seite des Kirchenschiffs. Hier in der Kapelle (am 13. Januar 1527 hat das Volk von Neapel durch einen Schwur an Gennaro ihm eigens zu Ehren eine Kapelle zu bauen, als Dank für die Errettung von der Pest - von 1526 bis 1528 hatte die Stadt über 60.000 Pesttote zu beklagen), die von einem Gusseisernen Tor gesichert ist, und nur zu bestimmten Tageszeiten geöffnet wird,  befindet sich die Büste Gennaros, die auf einer silberverziehrten Truhe steht, in der S. Gennaros Schädel aufbewahrt wird. Die eindrucksvolle silberne Büste, wird von einer wertvollen silbernen und mit Edelsteinen besetzten Bischofsmitra und einem ebenso wertvollen purpurfarbenen Bischofsmantel geschmückt. Um seine Schultern trägt Gennaro eine kostbare Kette. Hinter dem Altar der Kapelle, nicht sichtbar für die Besucher, befinden sich die zwei Ampullen, auch Phiolen genannt, in denen das Blut enthalten ist, verschlossen und gesichert, in einer sogenannten nicchia, zu deutsch Nische (in Italien wird prinzipiell in Nischen nicht in der Erde bestattet), die mit vier Schlösser verriegelt ist, zwei Schlüssel dazu sind im Besitz des Kardinals von Neapel, und die anderen zwei verwahrt die deputazione, d.h. die Delegation der Cappella del Tesoro.

    Die Gebeine Gennaros können unterhalb des Hauptaltars des Doms besucht werden. Dieses Gewölbe, wie ich es weiter oben bereits genannt habe, "Succorpo", kann durch eine schneckenförmige Steintreppe, die in den unteren Bereich des Doms führt, begangen werden. Hier sind die sterblichen Überreste des Leichnams von Gennaro, hinter eine Glasnische, zu sehen.

(Zur Geschichte der Cappella del Tesoro und dem Schatz von San Gennaro siehe: San Gennaro, Vescovo e Martire Santo Prottetore della Cittá di Napoli, Cappella del Tesoro, PierLuigi Sanfelice di Bagnoli, Napoli, 2007)


Die Ampullen und das Blut

    Wie weiter oben bereits dargestellt, haben wir gesehen, wie das erste Blutwunder erfolgte. Vielleicht sei noch hinzuzufügen, dass die Volksmythen von weiteren wundersamen Heilungen, die mit der  1. Umsetzung des Leichnams von Marciano in die Katakomben berichten.

Eusebia soll das Blut in zwei kleinen Gefäßen (ital.: ampolla, plu.: ampolle, wovon das eine rund ist und das andere eine länglichere Form hat), in irgendeiner Weise aufgefangen und aufbewahrt haben.

Der Usus Blut der Märtyrer oder andere Reliquien von Heiligen in den Häusern aufzubewahren, ist in den Berichten über viele Heilige zu lesen, und geht auf den Gebrauch aus dem 3. und 4. Jhr. zurück (siehe Augustinus, und Gregorius von Tours).

    Die Phiolen, die das Blut Gennaros enthalten, sind zwei Glasgefässe, welche von der sogenannten "archeologia sacra" auf das 3 .oder 4. Jahrhundert zu bestimmen sind. Sie sind beide unterschiedlicher Form: die größere ist elliptisch, ist oder wirkt platt(er) und hat ein Fassungsvermögen von ungefähr 60 Kubikcentimeter, die andere, kleinere Ampulle, hat eine zylindrische Form, und misst etwa 25 Kubikcentimeter. Sie sind in einem sogenannten Schaukasten (teca) oder Reliquar aufbewahrt, mit ungefähr 12 cm Durchmesser, der teca angioina genannt wird, da es ein Geschenk des Königs-und Herrscherhauses der Anjou war, und der aus Glasfenster besteht, die in einem Silberrahmen verarbeitet sind. Die Ampullen sind somit von vorn und von hinten sichtbar, das heisst, diese teca in der sie sich befinden, ist verglast, und an dessen silberverziertem Rahmen, ist eine Kette befestigt, die sich der Kardinal von Neapel an den Tagen des Wunders der "liquefazione" um den Hals hängt. An der unteren Seite des Reliquars an einem länglichen Griff festhaltend, kann er die Ampullen mit dem verflüssigten Blut - wenn das Wunder stattgefunden hat - dem neapolitanischen Volk zeigen.



 

Die Ampullen, bzw. die teca angioina befindet sich sonst in einem Tresor oder Panzerschrank in der Nische in der Cappella del Tesoro im Dom zu Neapel (wie weiter oben beschrieben).

    Das Blutwunder ereignet sich - vorrausgesetzt es ereignet sich - an den folgenden Tagen: am 19. September, dem Hochfest des Heiligen Gennaro, dem Samstag nach dem ersten Sonntag im Mai, was auf die Überführung des Leichnams Gennaros von Marciano in die Katakomben zurückzuführen ist, und am 16. Dezember eines jeden Jahres. Das letzte Datum basiert auf dem Gedenken des 1631 ausgebrochenen Vesuvs, vor dessen vernichtende Lavaströme Gennaro sein Volk gerettet hat.


Neapel und Gennaro identifizieren sich miteinander

So ähnlich kann die symbiotische Beziehung die die Menschen dieser Stadt mit dem Heiligen führen, beschrieben werden. Es ist eigentlich keine religiöse sondern eine persönliche Beziehung, die geführt wird. San Gennaro ist das Symbol der Stadt par exellence, und die Menschen beten zu Gennaro vielmehr wegen kollektiver "Bedürfnisse" als um individuelle Anliegen, obgleich ich mir nicht vorstellen kann, dass Gennaro eine persönlichen Bitte - wenn sie im Einklang mit dem Willen Gottes steht - verwehren könnte.

    Die älteste schriftliche Überlieferung des Blutwunders geht auf den Chronicon Siculum zurück, dessen Autor unbekannt bleibt. Dieses Chronicon war eine Art Zeitung in lateinischer Sprache, die über Ereignisse berichtet, die sich zwischen den Jahren 1340 und 1396 im Reich von Neapel zugetragen haben. Das Chronicon, das in der vatikanischen Bibliothek aufbewahrt wird, wurde 1887 veröffentlicht (Napoli Nobilissima, vol XVI., Band XI. Nov. 1905, S. 173).

Insgesamt kann gesagt werden, dass ungefähr seitdem schriftliche Zeugnisse über das Blutwunder existieren, die auch von bekannten Persönlichkeiten stammen, wenn auch in kurzer Form, doch erwähnen sie die Ereignisse um das Wunder des Blutes von Gennaro. Des weiteren kann man sich ab 1610 auf die "diari" des Doms von Neapels berufen, um genaue Angaben der jeweiligen Vorkommnisse zu erfahren.

Das Blutwunder ereignet sich traditionell an den drei angegeben Daten, und bei  besondere Begebenheiten. 

    Gute Vorausssetzung für das Wunder des Blutes sind, die mittelbare Nähe der Ampullen mit dem darin enthaltenen Blut und die Büste Gennaros mit den darin liegenden Schädel. Des weiteren bedarf es besonderer Gebete und Bitten seines neapolitanischen Volkes, bzw. der Gläubigen. Dennoch ist anzumerken, dass sich das Wunder auch ereignet hat, wenn Kopf und Blut nicht in unmittelbarer Nähe zueinander standen, bzw. auch ohne Gebete geschah das Wunder. Oftmals ist es der Fall, dass beim Öffnen der Nische und des Panzerschrankes das Blut in den Ampolle bereits flüssig vorgefunden wurde,
(das war am 19. September 2011 der Fall), oder es wird flüssig, wenn es aus der Nische geholt wird, oder während der Prozession. Das Blut, das im festen Zustand, sichtlich am Glas verkrustet erscheint, löst sich bei dem sakralen Vorgang von der Glasoberfläche der Phiole, das kann schnell aber auch langsam geschehen. Darüberhinaus ist die Verflüssigung des Blutes manchmal nicht "komplett", dass heisst, dass ein Teil des Blutes fest bleibt, ein Klumpen oder eben Gerinnsel bleibt somit von der Verflüssigung unbetroffen.
   
    Der Flüssige Zustand dauert in der Regel den ganzen Tag an. Oft, vor allem bei den Ereignissen im Mai gerinnt das Blut zwischenzeitlich, um dann wieder flüssig zu werden. Es gab Zeiten, wo das Blut monatelang im flüssigen Zustand war.

    Die Farbe, bzw. die Nuance der Farbe des füssigen Blutes ist nicht immer gleich. Sie kann von fast schwarz zum starken, kräftigen rot erscheinen.
Die Zeit die gewartet wird, bis das Wunder sich ereignet (wenn es eben nicht schon im flüssigen Zustand aus der Nische geholt wird), ist unvorhersehbar. Wenn es im festen Zustand aus der Nische geholt wird, dann kann es wenige Minute dauern, aber auch Stunden, oder eben Tage bis es in den flüssigen Zustand übergeht. Es kann auch vorkommen, dass es sich überhaupt nicht verflüssigt. Die beiden von mir letzten genannten Möglichkeiten kamen eher seltener vor, und es ist stets mit großer Sorge der  Neapolitaner zu bewerten, da anschließend düstere Ereignisse nicht nur die Stadt Neapel aber auch Italien heimsuchten; werfen wir einmal einen Blick auf die anschließenden Ereignisse, als sich das Blut erst nach langer Verzögerung bzw. gar nicht verflüssigte:
   
Das Wunder ereignete sich - mit Ausnahme von 1940 und 1973 -überhaupt nicht in den folgenden Jahren:

1835 – Cholera

Mai 1940 - Das Blut verflüssigt sich erst nach zwei Tagen in einem eher schlecht zu bewertenden Zustand, Kriegseintritt Italiens im Juli des selben Jahres. 1941 und 1945 - zweiter Weltkrieg, militärischer Einsatz Italiens auf dem Balkan 1941.

1976 - desaströses Erdbeben in Norditalien

1973 - das Wunder ereignete sich erst nach 2 Tagen, Ausbruch der Cholera

1980 - das Blut verflüssigt sich nicht, im November großes Erdbeben in der Region Irpinia, es war die schwerste Naturkatastrophe der italienischen Nachkriegsgeschichte, welche die Region zwischen Neapel und Potenza beinahe völlig zerstörte. Knapp 3000 Menschen kamen damals ums Leben.

    Die Temperatur in der sich das Blut verflüssigt, ist unterschiedlich, es kann bei 30 Grad im Mai und September und bei 5-6 Grad im Dezember stattfinden.

    Interessant ist folgendes oft schon beobachtetes Phänomen, welches die Variation des "Volumens" betrifft. Die Substanz, wenn sie flüssig ist, füllt in der Regel 2/3 des Gefässes aus (wir sprechen hier von der gößeren elliptischen Ampulle); allerdings ist zu beobachten, oftmals in der Zeit der Oktave im Mai (eine besondere Gebetswoche in der speziellen Riten zufolge traditionelle Gebete an den Heiligen gerichtet werden. Bis in die vergangenen Jahrzehnte hinein, war bei diesen traditionellen Gebetsriten im Mai aber vor allem im September die sogenannte "Verwandtschaft" Gennaros zugegen, gemeint waren Nachfahren von entweder tatsächlichen Verwandten, wohl aber eher "Verwandte im Glauben" gemeint. Diese verfügten über mündlich weitergegebene,  archaische Gebete und Gesänge in neapolitanischem Dialekt, die an Gennaro gerichtet wurden. Die letzte "Verwandte" Gennaros war Esterina),  dass das Volumen "wächst", d.h. das Blut füllt dann plötzlich die gesamte Flasche der Ampulle aus, bis zum letzten Tag der Oktave, ist dann die Ampulle bis oben hin mit Blut gefüllt. Im September ist die Ampulle voll mit geronnenem Blut, doch bei der liquefazione reduziert sich das Volumen auf ein Drittel, oder sogar noch mehr.
    Zusammen mit dem Phänomen der Variation des Volumens geht das Gewicht, und eben auch nicht nach festgeschriebenen (physikalischen) Gesetzen: eine Zunahme des Volumens bedeutet bei Gennaros Blut nicht, dass dessen Gewicht auch zunimmt, oder eben umgekehrt. Es kann also vorkommen, dass mehr Blut in der Ampulle ist, aber die Ampulle nicht mehr an Gewicht beträgt, und umgekehrt, also, weniger Volumen, aber nicht notwendigerweise leichter.

Der Idealfall des Wunders aber ist: zügiges Verflüssigen des Blutes, das eine frische rote Farbe vorweist, und ein schaumiges Aussehen hat.
(aus: San Gennaro, Vita, miracoli, ritualitá e culto, Paolo Giannino, Napoli, 2005)


San Gennaro und der Vesuv

    Die Überlieferungen der Geschehnisse und das wundersame Eingreifen San Gennaros in Gefahren, wie Erdbeben, Cholera, Pest, Krieg aber vor allem durch die Bedrohung des Vesuvs, geht auf das 4. Jahrhundert zurück. Im Jahr 472 bedrohte ein Ausbruch des Vulkans die Stadt, so auch 512, und die Urchristen rannten jedesmal in ihrer Panik zur Grabesstätte in den Katakomben Gennaros und beteten dort und flehten um sein Eingreifen und ein Wunder.

    Der 16. Dezember 1631 war ebenso ein Tag, an dem die Neapolitaner von der Lava des Vesuvs bedroht wurden. Die Reliquien des Heiligen wurden in Prozession nach draussen gebracht, und das Volk begleitete den Kardinal mit den wertvollen Phiolen, zusammen mit der Büste des Heiligen Gennaros, und dieser hielt die Reliquien gegen den wütenden Vulkan, wobei sich dieser zusammen mit den dunklen, bedrohlichen Wolken mit der Zeit beruhigten, und der Himmel aufriss und ein wundervoller blauer Himmel und Sonnenstrahlen zum Vorschein kamen. Darauf wurde der Heilige Gennaro zurück zum Dom gebracht, worauf er vor dem Eingangsportal der Kathedrale das ganze Volk segnete.

    Nach dem Brief des Marchese von Villa Giovan Battista Manso vom 19. Dezember, der an den Schreiber der Familie des Kardinals Barberini ist zu lesen, dass zunächste einmal als die Reliquien des Heiligen aus dem Portal des Doms getragen wurden, der schreckliche Regen aufhörte, und zum anderen, Gennaro selbst in bischhöflichen Gewand im Fenster oberhalb des Eingangtors des Doms erschien, um das Volk zu segnen. (Girolamo Maria Di Sant'Anna, Istoria della vita, virtú e miracoli di S. Gennaro Vescovo e Martire, Napoli, 1733, S. 78).

    Aufgrund vieler Bedrohungen von Seiten des Vulkans wurden zum Dank an Gennaro im Laufe der Zeit viele Kirchen oder Kapellen in der Stadt erbaut. So auch die kleine Kapelle mit der Statue des Heiligen auf dem Ponte della Maddalena, die den Heiligen darstellt, wie er mit der Hand dem Vesuv Einhalt gebietet. Diese Statue und diese Stelle ist schon oftmals Zielpunkt von Prozessionen gewesen.




    Im Zuge der Vorbereitung und Recherche zu San Gennaro, ist mir eine Erzählung - sehr typisch-süditalienisch, amüsant aber beeindruckend - im Gedächtnis geblieben, die dieses Kapitel und die Vorstellung des Heiligen Gennaro zum Ende führen  soll.

    Am 8. August 1779 wurde die Stadt und die Neapolitaner wieder einmal vom Vulkan bedroht. Der damalige Kardinal soll sich geweigert haben, dem Bitten des Volkes nachzukommen, Gennaros Büste durch die Stadt zu führen, die, wie es eben Sitte und Brauch in Notsituationen ist, zur Segnung und Abwehrung der Bedrohungen vom Volk in Prozession getragen wird.

    So geschah es, dass ein Pater der beim Volk sehr beliebt war, für den Bittgang beim Kardinal eingesetzt wurde. Doch auch diesem wurde offensichtlich das heilige Anliegen verwehrt.
   
    In der Nacht aber hatte Padre Rocco im Traum eine interessante Begegnung mit Gennaro, die ich hier in den wichtigsten Punkten übersetzen möchte:

    Im Traum stand er am Eingang des Paradieses und klopfte an die Tür; da erschien Petrus, erkannte ihn, und fragte leicht genervt - es war ja Nacht! - : “Pater Rocco, was willst du denn hier um die Uhrzeit?!” Da antwortete der Pater sichtlich verschüchtert, dass er eben San Gennaro, den Patrone di Napoli suche, da er dringend mit ihm sprechen müsse. Da öffnete Petrus und meinte: “Na dann such ihn dir mal raus....!” Da machte sich der Pater auf den Weg in die Richtung des Chores, wo die Märtyrer untergebracht sind, und da erkannte er ihn auch, mitten unter den anderen (Märtyrern). Er näherte sich Gennaro und machte auf sich aufmerksam, indem er ihm am Pluvial (Bischofsmantel) zog, darauf hin drehte dieser sich um; da fasste der Priester all seinen Mut zusammen und bat den Heiligen er solle dem Allmächtigen bitten, dass der Vesuv endlich aufhöre Feuer zu spucken, und Erbarmen mit dem treuen, neapolitanischen Volk haben. Da antwortet ihm Gennaro: “Dieses dein neapolitanisches Volk, will einfach nicht damit aufhören, sich unaufhörlich gegen Gott zu versündigen, und ER ist darüber erzürnt; Ich bete Ihn zusammen mit der Unbefleckten an, in seinem Zorn nachzulassen. Jetzt ist es noch nicht so weit. Morgen früh aber werde ich helfen können. Geh jetzt zu deinen Neapolitanern, und stehe ihnen bei.”

Am nächsten Morgen liess der Kardinal den Pater zu sich rufen, und willigte schließlich ein, San Gennaro in Prozession durch Neapel zu führen.




Abschließend noch etwas Persönliches: Gennaro sieht und weiss um Alles, was in Neapel geschieht, er kennt jede einzelne Handlung, die die Menschen in der Stadt begehen, ebenso weiss er alles über die Neapolitaner, die sich sonst wo auf der Welt befinden. Er kennt ihr Tun, und vor allem die Absichten, die hinter ihren Handlungen stehen.


 







                    Iris Tumolo, Göttingen Januar 2012


Literatur:

Das Große Buch der Heiligen, Geschichten und Legenden im Jahreslauf, Erna und Hans Melchers, Berlin, 1978

San Gennaro, Vescovo e Martire Santo Prottetore della Cittá di Napoli, PierLuigi Sanfelice Di Bagnoli, Napoli, 2007

San Gennaro, Vita, miracoli, ritualitá e culto, Paolo Giannino, Napoli, 2005

Istoria della vita, virtu' e miracoli di San Gennaro Vescovo e Martire, Girolamo Maria Di Sant'AnnaNapoli 1733, S.78

Ianuarius,Vitale de Rosa,  Napoli, 1973, S.117, ff.














 Napoli Nobilissima, vol XVI., Band XI. Nov. 1905, S. 173.

Memorie sui fatti della vita, e sul culto di san Gennaro, Raffaele Coppola, Napoli, 1857, S. 102